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Arbeitszeiterfassung: Hält die Stechuhr wieder Einzug in Behörden und Unternehmen?

Sie gilt als überholtes Relikt aus längst überwunden geglaubten Zeiten: die gute alte Stechuhr. Doch nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) könnte sie eine unverhoffte Renaissance erleben. Obwohl in Behörden und Unternehmen verstärkt auf eine Überwachung der Arbeitszeit verzichtet wird, ist jetzt höchstrichterlich entschieden worden, dass Arbeitgeber nach dem sogenannten „Stechuhr-Urteil" des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten verpflichtet sind. Auch der Vollzug muss seine Arbeitszeiterfassung wohl nachbessern.

Die Konsequenzen aus diesem Urteil (1 ABR 22/21) werden aktuell in Behörden und Unternehmen heftig diskutiert. Das Bundesarbeitsgericht urteilte jedenfalls, dass eine andere, auch abweichende Interpretation des deutschen Arbeitsschutzgesetzes nicht möglich sei. Die Vorgaben des EuGH seien dafür zu eindeutig.

Experten aus Wirtschaft und Verwaltung sind sich sicher, dass diesem Urteil weitreichende Bedeutung zukommen und es gravierende Auswirkungen auf die bislang vielfach praktizierten Vertrauensarbeitszeitmodelle haben wird. Besonders sind mobile Arbeit und Homeoffice betroffen, weil es in diesen Fällen besonders aufwändig sein dürfte, eine verlässliche und manipulationssichere Softwarelösung zu entwickeln.

Nach dem Arbeitszeitgesetz müssen bislang nur Überstunden an Sonn- und Feiertagen dokumentiert werden, nicht jedoch die gesamte Arbeitszeit. Das Bundesarbeitsgericht stützt seine Entscheidung daher auf das Arbeitsschutzgesetz. Eine lückenlose Erfassung der Arbeitszeit sei danach zum Schutz vor Fremd- und Selbstausbeutung zwingend erforderlich.

EuGH und BAG setzen den Bundesgesetzgeber unter Zugzwang

Nach dem „Stechuhr-Urteil" des Europäischen Gerichtshofs aus Jahr 2019 arbeitet die Bundesregierung gerade daran, die mit dem Urteil entwickelten Rechtsgrundsätze in deutsches Recht zu überführen. Die durch den EuGH aufgestellten Grundsätze lassen den EU-Ländern nur wenig Spielraum. Diese sind vielmehr verpflichtet, in Behörden und Unternehmen eine objektive, verlässliche und zugängliche Arbeitszeiterfassung einzuführen.

Das Bundesarbeitsgericht vertritt mit seiner akltuellen Entscheidung die Auffassung, dass der geltende Arbeitsschutz Arbeitgeber bereits derzeit verpflicht, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit vollständig erfasst werden kann. Lege man das Arbeitsschutzgesetz im Sinne des Europäischen Gerichtshofs aus, dann bestehe bereits gegenwärtig eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, so die Richter des BAG.

Mit seinem Grundsatzurteil setzt das Bundesarbeitgericht den Bundesgesetzgeber gehörig unter Druck. Nach dem Willen der Richter verfolgt das Urteil die Intention, ausufernde Arbeitszeiten zu verhindern und die Einhaltung von Ruhezeiten zu gewährleisten. Schließlich erwiesen sich in vielen Branchen unbezahlte Mehrarbeitsstunden als Belastung, vor der Arbeitnehmer geschützt werden müssten.

Arbeitsrechtsexperten befürchten, dass Vertrauensarbeitszeitmodelle kaum noch realisierbar sind und auch das Homeoffice und die mobile Arbeit würden durch die strikte Vorgabe der Arbeitszeiterfassung erschwert. Schließlich habe die Rechtsprechung nunmehr das Ob der Zeiterfassung vorgegeben. Der Gesetzgeber könne jetzt lediglich noch das Wie einer Regelung zuführen.

Auch im Vollzug ergibt sich Handlungsbedarf

Im Vollzug werden die Arbeitszeiten im Schichtdienst und der Verwaltung weitgehend durch Softwareprodukte erfasst, die gleichzeitig zur Abrechnung der Dienste zu ungünstigen Zeiten genutzt werden. Es gibt aber immer noch Funktionsstellen, bei denen das Vertrauenszeitmodell praktiziert wird. Hier müssen Dienstherr und nachgeordnete Behörden jetzt nachbessern, weil künftig die Arbeitszeiten von allen Kolleginnen und Kollegen erfasst werden müssen.

Für die aktuell während der Pandemie ausgeweitete Arbeit im Homeoffice stellt das BAG-Urteil ein Hemmnis dar, weil zunächst Möglichkeiten der Arbeitszeiterfassung entwickelt werden müssen, die sowohl den Interessen der Arbeitgeber als auch denen der Beschäftigten Rechnung tragen. Gleiches gilt für das mobile Arbeiten. Gerade dieses Vertrauensarbeitszeitmodell, hat in Pandemiezeiten an Attraktivität gewonnen. Es wäre schade, wenn diese Möglichkeit der Arbeitszeitgestaltung künftig gänzlich verhindert werden würde.

Friedhelm Sanker

Grafik: Abe/stock.adobe.com