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Missbrauch von Machtpositionen: Amerikanische Unternehmen bereichern sich auf Kosten ihres Personals

Hin und wieder ist es sinnvoll, sich mit den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in anderen Ländern zu befassen, damit man gewappnet ist, wenn man mit vergleichbaren Forderungen konfrontiert wird. Eine neue amerikanische Studie ist hierfür der aktuelle Anlass. In den USA ist die Spreizung der Einkommen noch erheblich größer als bei uns.

Hohe Gehälter lösen nicht unmittelbar eine Neiddebatte aus. Viele Amerikaner unterstellen, dass die Unterschiede in der Bezahlung leistungsbasiert sind. Auch die in der Theorie fortlebende Überzeugung, Amerika sei das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und jeder könne den Aufstieg schaffen, fördert und stützt diese Einstellung. Sie hat allerdings mit der Realität nur noch wenig zu tun. Viele Amerikaner benötigen mehrere Arbeitsstellen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, während Spitzenmanagern ihre Gehälter und Boni vielfach in den Schoß fallen.

Während das Spitzenmanagement für sich immer perfidere Belohnungssysteme ersinnt, die Wirtschaftsexperten als leistungslose Bereicherung und ein Prinzip der Überbelohnung kritisieren, entwickelt es daneben kreative Strategien, wie beim nachgeordneten Personal möglichst Arbeitsentgelte eingespart werden können.

Studie belegt. Konzerne bereichern sich am Personal

Die Harvard Business School und die University of Texas haben zu dieser Praxis jetzt eine Gemeinschaftsstudie vorgelegt, die erstaunliche Fakten ans Licht gebracht hat. „Arbeitsintensive Unternehmen, die auf billige Arbeitskräfte angewiesen und raffiniert genug sind, nutzen die Möglichkeit, ihre Arbeitnehmer auf Managerpositionen zu hieven, um nicht mehr Stundenentgelte zahlen zu müssen. Auf diese Weise lassen sich die Arbeitskosten erheblich senken“, erklärte Umit Gurun, Wirtschaftsprofessor und Co-Autor der neuen Untersuchung, im Gespräch mit dem Nachrichtensender „CBS News”.

Das amerikanische Arbeitsrecht verpflichtet Arbeitgeber zur stundenweisen Bezahlung ihrer Mitarbeiter. Überstunden werden regelmäßig mit 150 Prozent des normalen Stundenentgeltes vergütet. Dies gilt allerdings nicht, wenn die im Arbeitsrecht der meisten Bundesstaaten vorhandenen Ausnahmen und Schlupflöcher zur Lohnreduzierung genutzt werden. Für Managerpositionen müssen nämlich nur feste wöchentliche Entgelte gezahlt werden, so dass eine Bezahlung anfallender Überstunden nicht mehr erfolgt.

Manager ab einem Wochenentgelt von 455 Dollar?

Der Mindestbetrag für diese Form der Entlohnung liegt bei wöchentlich 455 Dollar, was einem Jahreseinkommen von 23.660 Dollar entspricht, das damit dem Niedriglohnsektor zuzuordnen ist. Diese Möglichkeit der Lohnreduzierung ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt, aber erst jetzt wird sie von Konzernen inflationär genutzt.

Die Liste der Pseudo-Titel ist nahezu unerschöpflich. In den USA finden sich viele Leiter der Gastronomie-Hygiene-Technik, was früher Tellerwäscher hieß. An der Rezeption arbeitet ein „Erster-Eindrucks-Direktor“. In den Schulen geben „Ernährungs-Consultants” das Mittagsessen aus. Müllmänner firmieren als „Sanitäringenieure" und in Hotels werden Putzkräfte als „Teppichreinigungsmanager" beschäftigt.

„Lohndiebstahl" ist ein Schwerpunkt der Klagen gegen US-Firmen

Prof. Umit Gurun war auf das Phänomen anlässlich einer Zwischenlandung auf einem amerikanischen Flughafen aufmerksam geworden. Zufällig hatte er mitbekommen, wie sich zwei Flughafenmitarbeiter über einen verspäteten Flug unterhielten. Der eine sah den Umstand entspannt, weil seine Überstunden bezahlt wurden, während der zweite ungehalten reagierte, denn er war Manager und erhielt keine Vergütung für die unvermeidliche Mehrarbeit, obwohl beide Mitarbeiter exakt die gleichen Aufgaben wahrzunehmen hatten.

Dieses Gespräch nahm Prof. Gurun zum Anlass für die aktuelle Studie, um diesen Bereich des amerikanischen Arbeitsrechts wissenschaftlich zu analysieren. Er stellte fest, dass in der Vergangenheit immer wieder die amerikanischen Gerichte mit dieser Form des „Lohndiebstahls" befasst wurden. Die meisten Klagen richteten sich gegen die erste Garde der US-amerikanischen Unternehmen: Walmart, Starbucks, JP Morgan Chase und auch die Bank of America. Diese Konzerne wurden wiederholt durch ihre Mitarbeiter wegen Lohndumpings verklagt.

Konzerne sparen jährlich mehr als 4 Milliarden Dollar

Der aktuellen Studie zufolge sparen amerikanische Unternehmen jahresdurchschnittlich weit mehr als vier Milliarden Dollar durch die Beförderung einfacher Mitarbeiter zu Managern. Durch die Übertragung von Managerfunktionen, so die Studie, wurde zwar das Selbstwertgefühl der Betroffenen gestreichelt. Gleichzeitig aber erhielten sie im Durchschnitt 13 Prozent weniger Lohn, als sie ohne die Aufnahme in die Managerriege erhalten hätten.

Damit sparen sich amerikanische Konzerne im Jahr Kosten von über vier Milliarden Dollar. Die „beförderten" Angestellten hingegen verdienen im Durchschnitt eben besagte 13 Prozent weniger, als ihnen ohne ihren neuen Titel zugestanden hätte.

Die Studie der Wirtschaftswissenschaftler ergab weiter, dass genau bei beruflichen Positionen mit Wochenlöhnen ab 455 Dollar aufwärts, die Stellenausschreibungen mit wohlklingenden Manager-Titeln in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt sind. Vor allem Einzelhandel und Dienstleistungssektor machten sich die Möglichkeiten des amerikanischen Arbeitsrechts zunutze. „Sanitäringenieur" klingt eben doch besser als „Müllmann".

Die Pandemie hat die Entwicklung zusätzlich verstärkt

Die Studie belegt, dass besonders seit den Lockdowns der Pandemie wohlklingende Titel inflationär zugenommen haben. Titel sind billig zu haben. Sie kosten praktisch nichts. Durch die Festgehälter im Niedriglohnbereich lässt sich das Personal legal übervorteilen. Die Analysen der Wirtschaftswissenschaftler weisen zudem nach, dass diese Methoden speziell in den republikanisch regierten Bundesstaaten mit schwachen gesetzlichem Arbeitsschutz und geringer gewerkschaftlicher Organisation explosionsartig um sich greifen.

Selbst die bislang verschonten Büroangestellten werden gegenwärtig mit diesen Methoden drangsaliert. Der Geschäftsführer einer Headhunter-Firma vermutet das schnelle Personalwachstum nach den Pandemie-Lockdowns als eine der Ursachen. Mit der Ausschreibung von Managerposten mit Festgeldbezug können die Personalkosten eben besser kalkuliert werden. Zudem können bei gleicher Budgethöhe mehr Personen eingestellt werden.

Unternehmen spielen ihre Machtposition aus

Trotzdem ist die Methode heuchlerisch, weil damit gerade die Menschen im Niedriglohnbereich zusätzlich ausgebeutet werden, die ohnehin nicht wissen, wie sie Miete, Energie und Lebenshaltung bezahlen sollen, ohne sich heillos zu verschulden.

In den Sozialen Medien fragte ein besorgter Amerikaner: „Ist es sonderbar, dass ich künftig mehr leisten soll, ohne dass sich mein Arbeitsentgelt erhöht? Mir wurde vor Tagen von der Geschäftsleitung eine Manager-Position angeboten. Zunächst war ich erfreut, dass meine jahrelange Arbeit als IT-Ingenieur anerkannt werden sollte. Die Freude war aber schnell verflogen, als sich herausstellte, dass der Aufstieg zum Manager zwar mehr Stress, aber nicht mehr Gehalt bedeuten würde. Ich lehnte dankend ab!"

Friedhelm Sanker

Foto: Jeanette Dietl stock.adobe.com