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Middelhoff will U-Haft mit allen Mitteln hinter sich lassen. (Bildrechte dpa/picture alliance)

Middelhoffs taktischer Umgang mit den Fakten

Heute berichten zahlreiche Medien, dass der Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff (61) die Richter selbst unmittelbar nach seiner Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe am 14. November 2014  über Freitodgedanken informiert haben soll. Auch seine Ehefrau habe die Befürchtung geäußert, ihr Mann könne sich etwas antun und dabei auf den Suizid des Bruders ihres Mannes im Jahre 2006 aufmerksam gemacht. Außerdem sollen mehrere Gutachter auf die Suizidgefährdung des Ex-Managers hingewiesen haben. Vor diesem Hintergrund ist dann die 28-tägige Beobachtung Middelhoffs im Rhythmus von 15 Minuten angeordnet und durchgeführt worden.

Die Beobachtung des Untersuchungsgefangenen war unumgänglich, weil Middelhoff die Zusammenlegung mit einem zuverlässigen Mitgefangenen abgelehnt haben soll. Die JVA Essen wählte unter den obwaltenden Umständen damit die minimalinvasivste Maßnahme, die das Untersuchungshaftvollzugsgesetz NRW vorsieht.

Dem Vernehmen nach ist von Seiten Middelhoffs gegenüber der Justiz nicht über Schlafstörungen geklagt worden. Diese hätten zudem durch das Tragen einer Schlafmaske minimiert werden können, wenn ihn das sekundenweise nächtliche Anschalten der Haftraumbeleuchtung so sehr beeinträchtigt hätte. Während des ersten Haftprüfungstermins ist weder durch Middelhoff noch durch seine Verteidiger auf Beeinträchtigungen durch die Beobachtung aufmerksam gemacht worden.

Erst jetzt, unmittelbar vor einem weiteren Haftprüfungstermin, wird die JVA Essen durch die Verteidigung Middelhoffs mit Foltervorwürfen überzogen, um die zweifellos vorhandene Autoimmunerkrankung des Ex-Managers durch den medizinischen Nachweis seiner Haftunfähigkeit zu instrumentalisieren. Dies ist ein wahrlich taktischer Umgang mit den Fakten und der Wahrheit, der deutlich macht, dass für Middelhoff nur eines wichtig zu sein scheint: Dr. Thomas Middelhoff.

Dass diese Verteidigungsstrategie, die auf die Aufhebung des Haftbefehls abzielt, die Reputation eines ganzen Berufsstandes beschädigt, würde Middelhoff wohl als unvermeidbaren Kollateralschaden betrachten. Der für seine Exzentrik bekannte ehemalige Arcandor-Chef hat schließlich Hunderte von Mitarbeitern über die „berufliche Klinge“ springen lassen, ohne dass großes empathisches Mitgefühl überliefert wäre. Wie soll man jetzt Fairness und Wahrhaftigkeit von ihm verlangen können, wenn es um Freilassung oder weitere Inhaftierung geht?

Richtig bedenklich ist aber die Berichterstattung der Medien, die bei der Ausübung ihrer Sorgfaltspflicht in diesem Fall einmal fünfe gerade sein ließen. Die Prominenz des Untersuchungshäftlings war offenbar zu verlockend, so dass man den Foltervorwurf der Verteidigung begierig aufgriff und medial verbreitete.

Noch gravierender aber war das Verhalten der Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Renate Künast (Grüne), die im Fall Middelhoffs Menschenrechtsverletzungen ausgemacht haben wollte. Wahrscheinlich war für eine vernünftige Recherche keine Zeit, als sie vermutlich durch Medienvertreter über den Foltervorwurf der Middelhoff-Anwälte informiert und um eine Stellungnahme gebeten worden war.

Vermutlich ist es ein kaum beherrschbarer Reflex von Politikern, die Öffentlichkeit zu suchen, wo immer sich eine Gelegenheit bietet. Meist reagieren sie dann mit relativ inhaltsleeren Floskeln, nicht so Renate Künast. Auf vermutlich sehr dünner Informationsbasis stellte sie den nordrhein-westfälischen Strafvollzug unversehens an den Pranger, beklagte Menschenrechtsverletzungen und verlieh so dem sehr taktischen Umgang der Middelhoff-Verteidigung mit der Wahrheit eine Spur mehr an Glaubwürdigkeit.

Die Kolleginnen und Kollegen in Essen haben sich, wie zwischenzeitlich immer deutlicher wird, an Recht und Gesetz gehalten. Man kann mit den gesetzlichen Regelungen, nach denen gehandelt worden ist, nicht einverstanden sein, dann muss man sich aber um eine Veränderung bemühen. Wer wüsste das besser als Renate Künast? Stattdessen aber die Strafvollzugsbediensteten als Menschenrechtsverletzter zu diffamieren, das geht gar nicht!

Foto im Beitrag © dpa/picture alliance