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Belegung der Vollzugseinrichtungen: Ausländerquote steigt kontinuierlich

Der Vollzug muss sich gegenwärtig einer Entwicklung stellen, die ihren Endpunkt wohl noch nicht erreicht hat. Justizminister Peter Biesenbach (CDU) hat in den zurückliegenden Wochen und Monaten wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass der zunehmende Ausländeranteil die nordrhein-westfälischen Vollzugseinrichtungen vor erhebliche Probleme stellt, den Vollzug entsprechend dem gesetzlichen Auftrag umzusetzen und zu gestalten.

Maßgeblich hierfür ist wohl die Sozialisation in differierenden Rechts- und Sozialsystemen. Gefangene mit ausländischen Wurzeln für die Chancen und Möglichkeiten des Vollzuges zu gewinnen, stellt eine große Herausforderung dar, weil vielfach zunächst die Gewährleistung der Sicherheit der Einrichtungen im Vordergrund steht. So werden aus den Einrichtungen Widersetzlichkeiten, verbale und körperliche Übergriffe und Vandalismus berichtet, die zwangsläufig zu einer erhöhten Personalbindung führen und die Kolleginnen und Kollegen bis an die Grenze der Belastbarkeit beanspruchen.

Ausländer gab es im bundesdeutschen Strafvollzug zu allen Zeiten. In den zurückliegenden Jahrzehnten ist jedoch ein starker Anstieg zu beobachten. Mit den Auswirkungen des Wegfalls der Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union stieg der Anteil der Ausländer in den Vollzugseinrichtungen auf etwa 30 Prozent an. Mit dem Fallen der Grenzkontrollen hat die Ausländerkriminalität nochmals einen Schub erhalten. Für die organisierte Kriminalität, den Terrorismus und auch Einzeltäter ergaben sich völlig neue Möglichkeiten, ihren gegen das Recht gerichteten Intentionen nachzugehen. Für die bundesdeutsche Bevölkerung vollzog sich dieser Prozess zunächst schleichend, so dass er nicht sofort ins Auge fiel.

Ursachen der Entwicklung

Da der Wegfall der Grenzkontrollen nicht durch andere Sicherheits- oder Kontrollsysteme kompensiert wurde, war im Laufe der Zeit eine spürbare Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit festzustellen. In besonderer Weise hatte die Bevölkerung im grenznahen Bereichen zu leiden. Mit der Gewährung der Freizügigkeit für Menschen osteuropäischer Länder verschärfte sich die Entwicklung noch einmal, zumal die Strafverfolgung die nationalen Grenzen zu beachten hatte.

Speziell die von Jahr zu Jahr steigende Zahl der Wohnungseinbrüche beunruhigte die Gesellschaft und veränderte das ganz normale Leben. Wo früher in ländlichen Gegenden Wohnungen und Häuser gar nicht verschlossen wurden, hielt jetzt Sicherheitstechnik Einzug. Das bestehende Vertrauen, in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld sicher leben zu können, ging für einen beträchtlichen Teil der Gesellschaft nach und nach verloren.

Der uns so liebgewordene soziale Rechtsstaat, das wurde immer größeren Teilen der Gesellschaft klar, konnte seine vorrangige Aufgabe, nämlich als Träger des Gewaltmonopols die innere Sicherheit zu garantieren, nicht mehr – wie es früher selbstverständlich war – in dem gewohnten Umfang erfüllen. Zwischenzeitlich waren aus Gründen der Haushaltskonsolidierung in fast allen Gebietskörperschaften die Polizeikapazitäten ausgedünnt worden. Und auch die Vollzugseinrichtungen hatten bei gleichzeitiger Zunahme der Aufgaben unter diesen politischen Entscheidungen zu leiden. Die Regierungen folgten mit dieser Personalpolitik der Logik einer abnehmenden Bevölkerung und eines unbedingten Sparwillens. Dieser Prozess hat sich erst mit der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 umgekehrt. Seither ist die Politik bemüht, das Personal bei Polizei und Strafvollzug wieder zu erhöhen.

Entwicklungen waren selbst verursacht oder absehbar

Mit der Flüchtlingskrise nahm der Ausländeranteil in den Vollzugsanstalten noch einmal sprunghaft zu. Er stieg in NRW auf fast 37 Prozent. Nimmt man die Deutschen mit Migrationshintergrund hinzu, haben gegenwärtig annähernd 50 Prozent der Gefängnisinsassen einen Migrationshintergrund. Dies stellt den Vollzug vor zahlreiche praktische Schwierigkeiten.

Die Kriminologie führt dieses Missverhältnis darauf zurück, dass viele Ausländer nur zum Begehen von Straftaten einreisten und viele junge Männer als Flüchtlinge zugewandert seien, deren Kriminalitätsbelastung altersbedingt hoch sei. Insgesamt könne jedoch keine höhere Kriminalitätsbelastung der Neubürger im Vergleich mit den schon länger hier Lebenden festgestellt werden. Angesichts der Zahlen darf man hieran durchaus Zweifel haben. Aber wie dem auch sei, in jedem Fall hat die Politik diese Entwicklungen zu verantworten.

Wenn die Sicherheit einer Gesellschaft durch Abschaffung der Grenzkontrollen heruntergefahren wird, dann sind sicherheitstechnische Ausgleichsmaßnahmen unabdingbar. Und wenn eine Gesellschaft viele junge Männer aus fremden Kulturen aufnimmt, dann hat sie die damit verbundenen Sicherheitsrisiken durch eine größere Polizeipräsenz aufzufangen. Die Flüchtlingskrise ist schließlich nicht über uns gekommen wie ein Naturereignis. Seit Mitte der 1990er Jahre warnen Experten vor einem steigenden Migrationsdruck aus dem Nahen Osten und aus Afrika, nur hat die Politik hieraus keine Schlussfolgerungen gezogen. Für diese politischen Versäumnisse zahlt die Gesellschaft jetzt den Preis, ihr gewohntes Leben an die veränderten Bedingungen anpassen zu müssen.

Herausforderungen für den Vollzug

Der Vollzug ist in den zurückliegenden Jahrzehnten sukzessive in die Lage versetzt worden, kriminogenen Faktoren durch schulische und berufliche Förderung entgegen zu wirken. Die Einrichtungen sind zurecht stolz darauf, was sie in der Vergangenheit aufgebaut haben. Sie stellen jedoch zwischenzeitlich fest, dass sie Angebote für eine Klientel geschaffen haben, die mehr und mehr abnimmt: Menschen, die in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind, die die kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kennen und die über eine Basis an schulischer Bildung verfügen, auf der aufgebaut werden kann.

Es wird folglich immer schwerer, die verfügbaren Ausbildungs- und Qualifizierungskapazitäten angemessen auszulasten. Und auch die schulische Qualifizierung muss immer früher ansetzen, weil mit einigen Gefangenen aufgrund einer bestehenden Sprachbarriere gar nicht ausreichend kommuniziert werden kann. Das Justizministerium hat zwischenzeitlich reagiert und zunächst ihre Strafvollzugsabteilung organisatorisch umgestaltet. Eine Vollzugsdirektion soll künftig das operative Geschäft koordinieren, während die restliche Abteilung dann für die strategische Ausrichtung des Vollzuges zur Verfügung steht.

Für spezielle Gefangenengruppen sollen spezifische Behandlungsansätze entwickelt werden, um die Vollzugseinrichtungen zu entlasten und strategisch bedarfsgerecht aufzustellen. Gefangene weisen in größerem Umfang als früher psychiatrische Vorerkrankungen und drogenindizierte Persönlichkeitsveränderungen auf. Sie sind deshalb nicht von vornherein für Behandlungsangebote der schulischen und beruflichen Qualifizierung geeignet oder zugänglich, die der Vollzug regelmäßig vorhält.

Etliche Gefangene weisen gravierende Bildungsdefizite auf, so dass niederschwellige Bildungsangebote in das Portfolio des Vollzuges aufgenommen werden müssen. Daneben sollen die Kontakte inhaftierter Eltern zu ihren Kindern intensiviert werden und auch der Suizidprophylaxe soll verstärkt betrieben werden.

Eine sich verschärfende Belegungssituation verlangt Lösungen

Justizminister Peter Biesenbach (CDU) ist seit gut einem Jahr im Amt und erstmals haben die Strafvollzugsbediensteten das Gefühl, dass ihre berechtigten Interessen politisch gehört und berücksichtigt werden. Und auch bei der Belegungssituation verweigert er nicht den Blick auf die Realitäten, sondern räumt ein, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt.

Es gibt einen hohen Sanierungsbedarf, etliche Einrichtungen sind in ihrer Bausubstanz so beeinträchtigt, dass sie ersetzt werden müssen. Der Minister räumt ein, dass es in den kommenden Jahren während der notwendigen Baumaßnahmen durchaus Engpässe entstehen können. Er würdigt in dieser Hinsicht die Arbeitsleistung der Strafvollzugsbediensteten, die unter schwierigen Bedingungen hervorragende Arbeit leisteten.

Er belässt es aber nicht nur bei Lob und guten Worten, sondern hat für das laufende Jahr 230 neue Stellen geschaffen und auch für 2019 sind zusätzliche Stellen in den Haushalt eingestellt worden. Um den erhöhten Ausbildungsbedarf überhaupt stemmen zu können, ist eine Ausweitung der Kapazitäten angedacht. Es scheint dem Minister offensichtlich ernst zu sein, den Personalfehlbestand in allen Laufbahnen des Vollzuges, den der BSBD mit über 1.000 Stellen beziffert hat, während der laufenden Legislaturperiode nach und nach abzubauen.

Dies ist ein sicherlich ambitioniertes Vorgehen, das Minister Biesenbach deutlich von seinen Vorgängerinnen und Vorgängern unterscheidet. Es ist aber wohl auch die vorerst letzte Chance, den Vollzug angesichts einer guten Haushaltssituation personell und sächlich angemessen aufzustellen. Der Minister unterstreicht damit zudem die Glaubwürdigkeit seiner Intention, mittelfristig wieder eine Führungsrolle im Bereich des bundesdeutschen Vollzuges einnehmen zu wollen.

Strafverbüßung im Heimatland intensivieren

Im Hinblick auf mögliche Belegungsspitzen sollte nach Einschätzung des BSBD-Vorsitzenden Peter Brock auch die Möglichkeit der Verbüßung einer in Deutschland erkannten Freiheitsstrafe im jeweiligen Heimatland verstärkt genutzt werden. Dies gilt besonders für jene Fällen, in denen die Verurteilten keine realistische Bleibeperspektiven in Deutschland nach der Strafverbüßung haben. Schließlich sollen diese Straftäter in die Herkunftsgesellschaft integriert werden. Mit diesen Bemühungen kann nicht früh genug begonnen werden, während es für den hiesigen Vollzug eine spürbare Entlastung bedeuten würde.

Die rechtlichen Grundlagen sind mit der Strafprozessordnung und der Ratifizierung des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen geschaffen worden. Bislang wird von diesen Möglichkeiten jedoch nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht. Dabei ist das Übereinkommen zwischenzeitlich von allen Ländern des Europarates ratifiziert worden. Häufiger sind Überstellungen nach einer Teilverbüßung. Peter Brock: „Wenn aber eine Bleibeperspektive nicht besteht, dann macht es mehr Sinn, wenn sich der Verurteilte im Heimatland bereits während der Strafvollstreckung auf ein Leben in der Herkunftsgesellschaft vorbereiten kann.“

Friedhelm Sanker

Symbolfoto: Archiv BSBD