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Justizvollzugsbeamte werden für weisungsgemäßes Handeln vom Gericht zur Kasse gebeten

Dies war die Kurzfassung eines Berichtes, der Anfang Oktober 2018 in der Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) zu lesen war. Es ist zuzugeben, dass die Kurzfassung des Sachverhalts mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet. Was war konkret geschehen? Im September 2016 ereignete sich in der Justizvollzugsanstalt Bochum eine Sicherheitsstörung, die für vier Kollegen die vorstehenden Folgen haben sollte.

In Schutzanzügen stürmten die vier noch dienstjungen Kollegen auf Anordnung eines Vorgesetzten einen Haftraum, um einen gefährlichen, renitenten und zudem mit einer Porzellanscherbe bewaffneten Inhaftierten zu überwältigen. Den vier Bediensteten wurde bei ihrem Einsatz allerdings der falsche Haftraum geöffnet. Der in diesem Haftraum befindliche Gefangene war völlig überrascht und wurde bei dem folgenden Zugriff leicht verletzt.

Ihren Irrtum bemerkten die Bediensteten erst, als der Zugriff praktisch abgeschlossen war. Unverzüglich beendeten sie den Einsatz und begaben sich in den benachbarten Haftraum, wo sich der eigentliche Störer aufhielt. Der als gefährlich geltende Mann hatte sich bei der Frühstücksausgabe äußerst aggressiv verhalten, Teekanne und Teller durch den Raum geworfen und sich mit einer Scherbe bewaffnet. Der Häftling galt als an Hepatitis erkrankt und stellte folglich eine Gefahr für sich und Dritte dar. Die Bediensteten brachten den Störer in ihren Schutzanzügen schnell unter Kontrolle und fixierten ihn.

Am 02. Oktober 2018 kam es nun zur abschließenden gerichtlichen Aufarbeitung des Ereignisses vor dem Amtsgericht Bochum. Der Fall hatte sich hingezogen, weil die Zeugen des Vorfalles, die sich zwischenzeitlich wieder auf freiem Fuß befinden, zu anberaumten Hauptverhandlungen nicht erschienen waren. Vermutlich wollte das Gericht auf jeden Fall das Verfahren abschließen und unterbreitete den Verfahrensbeteiligten deshalb den Vorschlag, das Verfahren gem. § 153 a StPO mit der Auflage der Schadenswiedergutmachung einzustellen. Als angemessene Ersatzleistung sah das Gericht 600 € je Angeklagten an, so dass der Verletzte insgesamt 2.400 € zugesprochen bekam.

Problematische Verfahrenserledigung

Diese Form der Verfahrenserledigung mag aus Sicht des Gerichts durchaus opportun gewesen sein. Für Strafvollzugsbedienstete ist die Entscheidung allerdings überaus problematisch und nur schwer nachzuvollziehen. Schließlich haben die Kollegen, die ein sogenanntes Deeskalationsteam bildeten, auf Weisung gehandelt. Der Zugriff war angeordnet und ihnen wurde der Haftraum gewiesen, in dem ein Gefangener fixiert werden sollte. In diesem Fall sind sie von der Prüfung der Rechtmäßigkeit ihres Handelns entbunden, weil diese Frage durch den Anordnenden zu prüfen ist. Weshalb die Angeklagten sich letztlich trotzdem mit dieser Form der Verfahrenserledigung einverstanden erklärten, ob sie nach zwei Jahren eines schwebenden Verfahrens einfach nur einen Schlussstrich ziehen wollten, bewegt sich im Bereich der Spekulation.

Für künftige Fälle ist dies jedoch von beachtlicher Bedeutung. Müssen Mitglieder von Deeskalationsteams jetzt generell vor einem Einsatz die Rechtmäßigkeit eines angeordneten Zugriffs prüfen und dürfen sich nicht mehr auf die Rechtmäßigkeit der Weisung verlassen? Müssen sie sich die Anordnung und deren Umfang künftig schriftlich bestätigen lassen? Müssen sie erforderliche Informationen für den Einsatz zuvor selbst überprüfen? Wenn dem künftig so sein sollte, dann müssen die Einsatzbedingungen für Deeskalationsteams grundlegend überarbeitet werden. Hier ist der Dienstherr gefordert, schnell Klarheit zu schaffen.

Die Kollegen bemängelten, dass sie unvorbereitet ins Feuer geschickt wurden

Die vier Kollegen machten im Verfahren darauf aufmerksam, dass es in der Justizvollzugsanstalt Bochum kein festes Team für Deeskalations- und Sicherungstechniken gibt. Allein dies ist an sich schon ein Unding, weil in einer geschlossenen Einrichtung mit einem doch erhöhten Sicherheitsbedürfnis das Vorhalten von Teams selbstverständlich sein sollte, die Deeskalations- und Sicherungstechniken beherrschen und in einem abgestimmten gemeinsamen Vorgehen geübt sind. Auch das in Bochum Kollegen eingesetzt wurden, die sich seinerzeit noch in einem Probebeamtenverhältnis befanden, ist kaum nachvollziehbar.

Ihren Trainingszustand in der Beherrschung von Deeskalations- und Sicherungstechniken bezeichneten die Betroffenen in der Hauptverhandlung als mangelhaft. Ausschließlich während der Ausbildung seien ihnen Grundkenntnisse vermittelt worden. Eine Intensivierung oder zumindest die regelmäßige Auffrischung des einmal Erlernten habe es nicht gegeben. Dabei können Sicherungstechniken nur dann ohne Risiken für die Betroffenen selbst, aber auch für Dritte angewendet werden, wenn sie regelmäßig geprobt und trainiert werden.

Nach Einschätzung des BSBD ist dieser Fall erneut ein Paradebeispiel dafür, dass das Training von Sicherheitstechniken nur dann sachgerecht gestaltet wird, wenn es entsprechende Vorgaben seitens der Administration gibt. Wird dieser Bereich den einzelnen Vollzugseinrichtungen überlassen, ohne dass bestimmte Mindeststandards zu erfüllen sind, dann kommt es über kurz oder lang zu Personaleinsparungen, dies lehrt uns einfach die Erfahrung.

Training der Deeskalations- und Sicherungstechniken fristet Stiefmütterchendasein

Dabei sind die Deeskalations- und Sicherungstechniken ein Aufgabenfeld, dessen Bedeutung künftig für die Sicherheit der Vollzugseinrichtungen gar nicht hoch genug einschätzt werden kann. Es sollten deshalb spezielle Trainings- und Übungsräume zur Verfügung stehen, in denen die Enge eines Haftraumes nachgestellt werden kann, um unter realistischen Bedingungen trainieren zu können. Sollte der Aufwand für einzelne Einrichtungen zu groß sein, dann empfiehlt es sich, dass mehrere Einrichtungen Trainingskooperationen eingehen. Erreicht werden muss jedenfalls, dass alle Bediensteten über Grundkenntnisse verfügen und in jeder Einrichtung mehrere Teams zur Verfügung stehen, die speziell und intensiv auf Einsätze vorbereitet und im gemeinsamen Agieren geübt sind.

Der Dienstherr ist gefordert

Der Dienstherr hat nach Einschätzung des BSBD sicherzustellen, dass das erforderliche Personal und die notwendigen Trainingsräumlichkeiten verfügbar sind, und die Einrichtungen bei personellen Engpässen nicht bei der Sicherheit sparen. Am Beispiel der JVA Bochum würde dies einen Personalbedarf von mindestens 5500 Jahresstunden bedeuten, um dem Personal Grundkenntnisse zu vermitteln und mehrere Teams intensiv zu trainieren.

Der BSBD erwartet, dass nicht nur im Rahmen der geltenden Rundverfügung Forderungen aufgestellt werden, sondern dass die Einrichtungen faktisch in die Lage versetzt werden, diese Forderungen auch umsetzen und realisieren zu können. Daneben ist auch der dienstliche Rechtsschutz so zu verbessern, dass die Kolleginnen und Kollegen bei der strafrechtlichen Überprüfung von dienstlichem Verhalten bestmöglich vertreten werden. Ein solcher Verfahrensabschluss, wie ihn das Amtsgericht Bochum jetzt im Fall der vier Bochumer Kollegen gefunden hat, sollte sich tunlichst nicht wiederholen. Denn dann würden – wie viel zu oft – den Letzten tatsächlich die Hunde beißen.

Friedhelm Sanker

Foto: Archiv BSBD NRW