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Benaissa Lamroubal und „Rebell Comedy“ bei seinem Auftritt in der JVA Bochum.

Freizeitgestaltung im Vollzug: Sind nur teure Veranstaltungen etwas wert?

Die Freizeitgestaltung in den Vollzugseinrichtungen des Landes ist ein weites Feld. In den zurückliegenden Jahrzehnten ist hier immer mehr investiert worden, und zwar Zeit, Geld und Personal. Diese Entwicklung hatte ihren Ausgang im Jugendvollzug. Hier wurden erstmals Diplom-Pädagogen eingesetzt, um diesen Bereich professioneller zu strukturieren. Aber auch der Erwachsenenbereich engagiert sich, weil von einer künftig vernünftig gestalteten Freizeit ein positiver Effekt auf die spätere Legalbewährung erwartet wird und erwartet werden darf.

Die Erfahrung zeigt allerdings, dass man speziell dieses Ziel schnell aus den Augen verlieren kann, wenn Freizeitgestaltung Wettbewerbscharakter annimmt. Das Risiko erscheint umso größer, je leichter sich finanzielle Mittel beschaffen lassen.

Beispielsweise trat am 07.03.2019 in der Justizvollzugsanstalt Bochum die Gruppe „Rebell Comedy“ auf. Es handelte sich bei der Veranstaltung um Stand-Up-Comedy. Die Comedian-Truppe hat landesweite Bekanntheit erlangt und füllt zwischenzeitlich auch größere Hallen. Parallel zu dieser Entwicklung steigen unvermeidlich die Kosten, will man sie engagieren. Bei den Comedians der „Rebell Comedy“ handelt es sich um Menschen mit Migrationshintergrund. Mit dem Engagement von zwei Künstlern dieser Truppe wurde sicher das Ziel verfolgt, den zahlreichen Inhaftierten mit Migrationshintergrund die Möglichkeit zu eröffnen, über ihre eigene Situation, die durch die Künstler unmittelbar aufgriffen und komödiantisch aufbereitet wurde, herzhaft lachen zu können. Dieses Ziel wurde mit der Veranstaltung mehr als nur erreicht. Die Veranstaltung war damit sicherlich für die Inhaftierten eine willkommene Ablenkung von dem mitunter als belastend empfundenen Alltag einer Vollzugseinrichtung.

Da zu solchen Veranstaltungen regelmäßig auch Gäste und Medienvertreter eingeladen werden, besteht immer die Versuchung, etwas Besonderes bieten zu wollen oder zu müssen. In der Vergangenheit wurden regelmäßig von bekannten Künstlern Benefizveranstaltungen gegeben, bei denen Kosten in der Regel nur für die Entrichtung der GEMA-Gebühren anfielen. Diese Künstler wurden meist durch Vollzugsbedienstete zu einem Auftritt im „Knast“ verlasst, die persönliche Beziehungen nutzten. Zwischenzeitlich hat sich eingebürgert, Künstler gegen Entgelt zu engagieren. Hierzu wird auch beigetragen haben, dass die Haushaltsmittel in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen etwas leichter zu beschaffen sind als noch in der Vergangenheit.

Eine solche Entwicklung führt zwangsläufig zu einem Wettbewerb der Einrichtungen untereinander, das ergibt sich schon allein aus der Fluktuation der Gefangenen. Sie ist nach Einschätzung des BSBD jedoch kritisch zu hinterfragen, weil in der Regel solche Veranstaltungen im Fokus stehen, die einen konsumtiven Charakter aufweisen. Für Auftritte von bekannten oder semi-bekannten Künstlern viel Geld auszugeben, ist deshalb problematisch, weil diese Form von Veranstaltung meist zu keinem neuen Erfahrungs- oder Erkenntnisgewinn bei den Gefangenen führt, sondern vorrangig den Unterhaltungsaspekt in den Blick nimmt.

Anders sind Workshops mit internationalen Künstlergruppen zu bewerten, die nicht nur einen Auftritt umfassen, sondern über mehrere Tage in Arbeitsgruppen die Möglichkeit bieten, dass sich die Inhaftierten mit ihren individuellen kreativen Potentialen selbst erproben können. Der vermeintliche Nachteil: Sie sind oft nicht so bekannt. Die Angebote reichen über den Tanz, den Rap, die Trommelschule bis hin zu schauspielerischen Aktivitäten. In den Workshops können sich die Gefangenen selbst erproben und - entsprechende Leistungen vorausgesetzt – ihre Fähigkeiten bei den Abschlussaufführungen dem Publikum unmittelbar präsentieren. Meist stellt sich ein solcher Auftritt als grandioses Erleben der eigenen Fähigkeiten heraus. Die Gefangenen verlassen die Rolle des passiven Konsumenten, werden selbst kreativ. Diese Veranstaltungsform beinhaltet die Chance, neue Möglichkeiten für eine künftig sinnvollere Freizeitgestaltung einzuüben.

Die Kosten für den 65-minütigen Auftritt der beiden Comedians von „Rebell Comedy“ sollen sich auf 6.000 Euro belaufen haben. An der Veranstaltung nahmen 140 Gefangene teil. Dies bedeutet, dass das Angebot von 20 Prozent der in Bochum einsitzenden Gefangenen angenommen wurde. Hieraus errechnet sich ein finanzieller Aufwand je Veranstaltungsbesucher von 42,85 €. Wenn man bedenkt, was mit dem Geld hätte veranstaltet werden können, um die Gefangenen für neue Freizeitbeschäftigungen zu aktivieren, kommt man um die Erkenntnis nicht herum, dass in diesem Fall das wirtschaftliche Augenmaß außer Acht gelassen wurde.

Wenn jetzt jede Einrichtung den Ehrgeiz entwickeln würde, sich in vergleichbarer Weise zu engagieren, könnte hier schnell etwas aus dem Ruder laufen. Deshalb müssen nach Einschätzung des BSBD auch Freizeitmaßnahmen nicht nur den gesetzlich normierten Angleichungsgrundsatz spiegeln; sie haben sich vielmehr in das Portfolio der Behandlungsmaßnahmen des Vollzuges einzufügen, weil sie nicht zuletzt die Wiedereingliederungsbemühungen des Vollzuges fördern sollen.

Foto im Beitrag © JVA Bochum