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TiSA: Fluch oder Segen für Europa?

Das Akronym TiSA steht für Trade in Services Agreement. TiSA ist ein transatlantisches Abkommen über Dienstleistungen, deren Rahmenbedingungen harmonisiert werden sollen, um bestehende Handelsschranken im Interesse der Unternehmen einzureißen. Bis zum 19. Juli 2014 waren die TiSA-Verhandlungen völlig unbekannt; sie werden schließlich geheim geführt. Erst nachdem Wikileaks Verhandlungsunterlagen veröffentlichte, wurde die Öffentlichkeit auf diese „Baustelle“ aufmerksam. Die Harmonisierung von Dienstleistungen verdient deshalb unser aller Aufmerksamkeit, weil die Politik offenbar Angst vor dem eignen Wähler entwickelt. Die Vertragsinhalte dürfen nach den Plänen der Verhandlungsdelegationen der Öffentlichkeit erst fünf Jahre nach der Vertragsunterzeichnung zugänglich gemacht werden. Das sollte bei uns alle Alarmglocken schrillen lassen.

Die Schweiz ist etwas vorgeprescht und hat einige Dokumente veröffentlicht, die zeigen, dass die von TiSA betroffenen Dienstleistungen noch weit über das hinausgehen, was mit TTIP, dem Abkommen über Handelswaren, geplant ist. Für TiSA gehört zum freien Wettbewerb auch freier Datenfluss. Den enthüllten Vorschlägen nach soll generell kein Land eine Firma daran hindern können, Informationen aller Art außer Landes zu schaffen.

Die Daten von Kommunikationsanbietern sollen ungehindert zwischen Ländern ausgetauscht werden können. Kein Unterzeichnerstaat darf einen Dienstleistungsanbieter eines anderen Unterzeichnerstaates daran hindern, Informationen zu übertragen, auf sie zuzugreifen, sie zu verarbeiten oder zu speichern. Das schließt persönliche Daten mit ein, wenn der Vorgang in Zusammenhang mit der Ausführung der Geschäfte des Dienstleistungsanbieters steht. Da die großen IT-Unternehmen allesamt in den USA ansässig sind, werden sie den Markt mit den Daten künftig wohl dominieren.

Ziele des Vertragswerkes

Die TAZ hat die Verhandlungsziele einmal so beschrieben: „Öffentliche Dienstleistungen zur Gesundheits-, Wasser- und Energieversorgung, bei der Bildung, im Finanzsektor sowie in allen anderen Bereichen sollen über das bereits in den letzten 20 Jahren erreichte Ausmaß hinaus dereguliert und internationaler Konkurrenz ausgesetzt werden.“

Zudem würde durch TiSA die Rückabwicklung von Privatisierungen gänzlich ausgeschlossen. Dies wäre eine Regelung, die die Staaten in ihren Hoheitsrechten erheblich beeinträchtigen würden.

Darüber hinaus sieht die Vereinbarung die Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Dienstleister vor. Diese sollen berechtigt sein, ausländische Leiharbeiter beliebig für temporäre Einsätze in die einzelnen Unterzeichnerstaaten zu entsenden. Inwieweit hierbei die arbeitsrechtlichen Standards der Einsatzländer, insbesondere auch die tariflichen Gehälter, gewahrt bleiben müssen, ist noch offen und damit ein großes Risiko für deutsche die Arbeitsplätze.

Der Entwurfstext betont ausdrücklich, dass jederzeit weitere Bereiche in den Vertrag aufgenommen werden können. Damit können auch noch nach Vertragsunterzeichnung neue Marktchancen für Unternehmen geschaffen werden, ohne dass eine demokratische Einflussnahme der Bevölkerung möglich wäre.

Die Verhandlungsparteien

TiSA wird verhandelt zwischen der EU, USA, Kanada, Mexiko, Japan, Chile, Taiwan, Costa Rica, Hong Kong China, Island, Israel, Kolumbien, der Koreanischen Republik, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Schweiz und der Türkei.

Die Risiken sind in ihren Dimensionen kaum abzuschätzen

Und hier liegt das Problem für den Strafvollzug . Bislang sind hoheitliche Aufgaben aus dem Sicherheitsbereich – auch des Strafvollzuges - vom Vertragswerk noch nicht erfasst. Sollte jedoch jemand auf die Idee kommen, die in Deutschland vorhandenen vollzuglichen Teilprivatisierungen in TiSA einzubeziehen, wäre eine Rückführung dieser Aufgaben in staatliche Hand, wie wir sie derzeit bei der JVA Offenburg erleben, künftig nicht mehr möglich, sondern ausgeschlossen.

Die private amerikanische Gefängnisindustrie sucht gerade nach neuen Betätigungsfeldern, nachdem die USA sich daran gemacht haben, ihre enormen Gefangenenzahlen zu reduzieren. Hier liegen also Ressourcen brach, die gerne auch in Deutschland nach Verwendungsmöglichkeiten suchen werden. Für einen nicht unerheblichen Teil der Arbeitsplätze im bundesdeutschen Strafvollzug wäre dies eine ernste Bedrohung, der wir entschieden entgegen treten müssen.

Der BSBD sieht ein grundsätzliches Konfliktpotenzial zwischen öffentlichen Diensten und Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Öffentliche Dienste sollen eine grundlegende soziale Daseinsvorsorge gewährleisten, die bezahlbar, universell verfügbar und nicht gewinnorientiert ist.

Öffentliche Dienste werden im Allgemeinen von einem Regelwerk begleitet, das ihre Kommerzialisierung bewusst einschränkt und dafür sorgt, dass grundlegende Dienstleistungen nicht als reine Handelsware anzusehen sind, während Handelsabkommen gezielt die Kommerzialisierung von Dienstleistungen fördern.

Die geheimen TiSA-Verhandlungen stellen ein grundsätzliches Problem dar. Hier werden Fakten unbeobachtet von der Öffentlichkeit geschaffen. Die Lobbyisten von Industrie und Finanzwelt sind dabei, die vertragschließenden Parteien zur Übernahme von Garantien und Risiken für Unternehmer, Finanzinvestoren und Spekulanten zu veranlassen, ohne dass die Bürgerinnen und Bürger hiervon profitieren würden. Im Gegenteil: Bräche ein auf diese Weise deregulierter Finanzmarkt abermals zusammen, hätte der Steuerzahler erneut die Banken zu retten.

Die Deregulierung der Finanzmärkte hat zur letzten Finanzkrise geführt. Wir brauchen daher mehr und nicht weniger Regulierung, damit die Risiken dort angesiedelt werden, wo auch die Gewinnchancen ihr Zuhause haben: bei den Banken, Investoren und Spekulanten.

Wenn wir stattdessen allen Unternehmen erlauben, unbegrenzt persönliche Daten zu sammeln und über alle Grenzen hinweg zu transferieren, dann wird Datenschutz zur reinen Farce und dann wird die so dringend erforderliche Regulierung und Bändigung der Finanzmärkte nicht mehr möglich sein.

Experten warnen denn auch, dass die USA mit dem Abkommen die europäischen Dienstleistungsmärkte für US-Unternehmen erschließen wollten. Die US-Regierung versuche amerikanische Unternehmen davon zu befreien, einen Firmensitz in den Ländern haben zu müssen, in denen sie Dienstleistungen erbringen. US-Internet-Konzerne bräuchten also keinerlei Niederlassung in der Europäischen Union mehr und würden dann selbstverständlich auch nicht mehr der EU-Gesetzgebung unterliegen.

In Verbindung mit dem Freihandelsabkommen TTIP würden europäische Internetnutzer und Konsumenten in diesem Bereich faktisch vollständig dem amerikanischen Recht unterworfen. Ist das etwas, was die Bürgerinnen und Bürger nicht wissen dürfen?

Die US-Regierung fordert zudem, dass US-Unternehmen ihre Datenbestände ohne Einschränkungen und rechtliche Vorschriften in ihr Heimatland transferieren dürfen. Die gesetzliche Regulierung zukünftiger Plattformen soll von der Zustimmung aller TiSA-Vertragspartner abhängig gemacht werden. Damit wären Änderungen am Vertragswerk kaum mehr möglich, weil nur einer der Unterzeichnerstaaten sein Veto einlegen müsste, um dies zu verhindern. Die Experten gehen zudem davon aus, dass TiSA durch die Öffnungskausel „angemessene Maßnahmen zum Netzwerkmanagement“ in der Lage sein wird, die Neutralität des Internets zu beeinträchtigen. Außerdem, so die Fachleute, diene das Abkommen vorrangig der Durchsetzung der Interessen transnationaler Konzerne.

Was ist zu tun?

Bislang regt sich gegen TTIP und TiSA nur in Deutschland erheblicher Widerstand. Dabei steht unser aller Besitzstand zur Disposition. Die Initiatoren der Verträge werben mit wirtschaftlichen Wachstumschancen. Viele Wirtschaftswissenschaftler äußern jedoch Zweifel an dieser Einschätzung und vermuten, dass sich Umsätze lediglich verlagern würden. Für diese vagen Chancen müsste Deutschland allerdings dauerhaft auf Souveränitätsrechte verzichten und sich internationalen Schiedsgerichten unterwerfen, ohne dass die Entscheidungen national oder international durch unabhängige Gerichte überprüft werden könnten.

Weil diese Thematik derart brisant ist, gehört sie an die Öffentlichkeit. Der BSBD wird seine Einflussmöglichkeiten nutzen, um Widerstand gegen diese Vertragswerke zu organisieren. Wenn der Nutzen eines Vertrages für die Bürgerinnen und Bürger nicht ersichtlich sind, dann hat die Regierung Vorsicht walten zu lassen, zumal eingegangene Verpflichtungen nachträglich wegen des Gebotes der Einstimmigkeit kaum mehr veränderbar wären.

Es muss auch die Frage erlaubt sein, warum derart weitreichend in die Souveränitätsrechte der Vertragsstaaten eingreifende Vertragswerke politisch weder in den Parlamenten noch in der Öffentlichkeit diskutiert werden? Wenn befürchtet wird, dass die öffentliche Meinung ein solches Vertragswerk zum Scheitern bringen kann, weil die Regierenden keine rechten Argumente für dessen Abschluss parat haben, dann war es eben ein schlechtes Vertragswerk und es gehört in „die Tonne der Geschichte“!

Foto im Beitrag © XK/ Fotolia.de